»Zur Ausstellung „Kleinigkeiten“ von Bernhard Sprute« Ann-Christin Schorpp

Am 27. Juni besuchte ich die Finissage von Sprutes Ausstellung „Kleinigkeiten“ im Herzzentrum in Bad Oeynhausen, auf der über 90 verschiedene Arbeiten des aus Ostwestfalen stammenden Künstlers präsentiert wurden. Die große Anzahl an Arbeiten machte es für den Betrachter einfach, die einzelnen Schaffensperioden und die Entwicklung des Künstlers nachzuvollziehen.

Den Titel wählte der Künstler, um zu verdeutlichen, dass es doch die vielen kleinen Dinge sind, die etwas Großes ausmachen.
Das Große ist in diesem Fall ein System, dass für die Verbindung und die Kommunikation von Tier, Mensch und Pflanzen steht und auf dieses System nimmt Sprute in seinen Bildern immer wieder Bezug. So auch in dem Bild „Tag und Nacht draußen und drinnen“: Dabei stehen die hellen Farben, wie zum Beispiel weiß und gelb und die Vielfältigkeit der Farben für den Tag und die dunklen Farben, wie braun, schwarz und blau, somit für die Nacht. Dies verdeutlichen auch die beiden Vögel auf der linken oberen Hälfte des Bildes: Während der eine Vogel in allen möglichen Farben gehalten ist, ist der andere Vogel schwarz, denn er fliegt durch die Nacht.
Der Stuhl, der Tisch und die Blumenvase stehen für den Part des Menschlichen im System, denn sie wurden vom Menschen erschaffen, der sich dafür jedoch wieder an der Natur bedienen musste und so erfolgt zunächst ein einseitiger Austausch im System. Die Natur ist in diesem Bild vor allem durch die für Pflanzen typische Farbe grün vertreten. An diesem Bild gefällt mir besonders, dass einfache Formen immer wieder aufgenommen werden und so dazu beitragen, das Bild und seine Funktion besser zu verstehen. So wie das Motiv des Blumenstraußes: Der Blumenstrauß in der Vase ist für jeden auf den ersten Blick einfach zu erkennen und wenn man dieses Muster erst einmal genauer betrachtet hat, so findet man es auch in weiß in der Bildmitte wieder und auch in der unteren linken Bildhälfte. Es ist eigentlich ein Produkt der Natur, als Strauß jedoch wieder etwas, dass vom Menschen erschaffen wurde und ihm als Verschönerung dient.
Außerdem gefällt es mir, dass es keine Grenzen zwischen den einzelnen Bereichen des Systems und den Tageszeiten gibt; es ist etwas Ganzes, das zusammen gehört und ineinander übergeht, weil es als Einzelnes nicht bestehen kann.
Dies wird auch unterstützt von Bildzeichen wie Kreisen und Linien. Die einzelnen Linien verbinden das System miteinander, sie stellen ein Netzwerk zwischen den einzelnen Parteien her. Der Kreis symbolisiert, die Vollkommenheit und die Einheit des Systems, da es in sich geschlossen ist.
In dem Bild „ Ziegenbild (System und Raster)“ wird diese Symbolik auch wieder aufgenommen, sodass es dieses Mal sogar eine Linie aus Kreisen gibt. Hinzu kommt außerdem das Dreieck, dass für die Hierarchie steht, die das System beherrscht. Regiert wird diese Hierarchie wahrscheinlich vom Menschen, der zahlenmäßig den kleinsten Anteil hat und dennoch den größten Druck ausübt. Ein Zeichen dafür ist auch das Auge in der rechten Bildhälfte: Alles steht unter einer ständig andauernden Beobachtung, es könnte aber auch ein Appell an das System sein, besser aufeinander zu achten. Die runde Form der Iris steht zugleich wieder für die Geschlossenheit des Systems und wird von Sprute wiederholt, auch in der gleichen Farbgebung, aufgenommen.
Dieses Wiederholen einzelner Motive verdeutlicht dem Betrachter die übergreifende Bedeutung dieser „Kleinigkeiten“ für ein Zusammenleben von Mensch, Tier und Pflanzen.

Das Raster in dem Bild ist ein Symbol für die Regelmäßigkeit dieses Zusammen- lebens; das System in seiner Form wiederholt sich immer nach ganz bestimmten Regeln, es ist unveränderbar und beständig. Und deswegen wiederholen sich auch Symbole wie der Kreis, die Linien oder die Form der Blumen in der Vase. Außerdem bringt das Raster eine gewisse Tiefe in das Bild, es soll uns aber auch helfen, das System besser zu verstehen und die Regelmäßigkeiten besser zu erkennen.

Mit Hilfe von Querschnitten von einzelnen Aspekten, wie Arterien oder einer Sonnenblume, macht Bernhard Sprute deutlich, dass er das Innere dieses Systems auch erfassen möchte, um es so auch besser zu verstehen. Und so fällt auf, dass der Querschnitt einer Sonnenblume dem äußeren Erscheinungsbild gleicht und auch die Form der Zellen einem Kreis ähnelt. Die einzelnen Parteien leben nicht nur in dem System, sie haben es eben auch verinnerlicht und bestehen aus ihm. Diese Art des Zusammenlebens macht es überhaupt erst möglich zu bestehen.

Wie facettenreich dieses Leben ist, bringt Sprute auch durch die Vielschichtigkeit seiner Bilder zum Ausdruck. Der Betrachter hat immer den Eindruck, also ob man die obere Schicht der Farbe und Motive abtragen könnte und darunter wieder ein neues vollständiges Bild findet. Man entdeckt stets etwas Neues, versucht bekannte Formen wiederzufinden und wird teilweise auch herausgefordert bestimmte Motive erst einmal zu finden. So ging es mir zum Beispiel mit dem Ziegenbild. Ich saß eine ganze Zeit vor dem Bild und habe versucht die Ziege zu finden. Doch erst als ich später noch ein zweites Mal zu dem Bild gegangen bin und es mir angesehen habe, habe ich sie gefunden. Man muss manchmal eben auch von gewöhnlichen Farbgebungen ablassen und nur nach der bekannten Form suchen. Mein Problem war, dass ich immer nach einer weißen Ziege gesucht habe, obwohl sie eigentlich braun und blau war.
Die Bedeutung der Ziege erkläre ich mir so: Die Ziege ist als Herdentier anpassungsfähig und lebt in der Herde auch in einer Art Hierarchie, dem Ziegenbock wird vor allem vorgeworfen, dass er sehr stur und teilweise aggressiv ist und dann gibt es noch den Sündenbock, der die Schuld der anderen auf sich trägt. All das lässt sich auch auf das System übertragen; so ist der sture Ziegenbock der Mensch, der eben viel Lebensraum durch seinen Lebensstil einnimmt und für andere Lebewesen zerstört, die Tiere und Pflanzen sind Diejenigen, die immer wieder versuchen sich diesem neuen Lebensraum anzupassen, jedoch oft daran scheitern und so die Schuld der Menschen tragen müssen. Außerdem steht dieses Tier wieder für den Austausch zwischen Pflanzen und Tieren: Das Tier benötigt die Pflanzen als Nahrung, also als Lebensbasis, und die Pflanzen können hinterher die Ausscheidungen der Ziege weiterverarbeiten.

Dass das System eben nicht immer harmoniert, lässt sich auch an der Farbgebung erkennen; so ist das Dreieck der Hierarchie in braun und rot gehalten, zwei Farben die nicht unbedingt miteinander harmonieren und auch eine unruhige Wirkung in dieser Konstellation auf den Betrachter haben.
Bei der ersten Betrachtung von den Bildern wirkt alles sehr durcheinander, als ob es keine Ordnung gibt. Die Wahrheit ist jedoch, in Bernhard Sprutes Bildern muss man sich erst einmal zurechtfinden. Was zunächst wie ein Wirrwarr aus vielen Motiven wirkt, die nicht unbedingt miteinander in Verbindung stehen, hat doch eigentlich seine Ordnung. Man muss anfangs mehrere Bilder betrachten, um das Einzelne und die Kleinigkeiten, in ihrer Beziehung zueinander, zu verstehen. Das macht die Bilder nicht für jeden einfach zugänglich und verständlich. Fängt man aber an, das System und seine Symbole zu verstehen und wiederzuerkennen, so fällt auf, dass eben doch alles in allem schlüssig ist.

Ann-Christin Schorpp, Bad Oeynhausen 2009